Rückblick Special: Ein Tag voller Abenteuer und schlechter Ideen

Ein Tag voller Abenteuer und schlechter Ideen

Auf unserem Weg von Weg von Deutschland nach Schweden planten wir eine zunächst völlig unspektakuläre Etappe von von Rostock nach Dänemark. Irgendwo zwischen Gedser und Klintholm wollten wir den Anker werfen. Nicht besonderes. 8 Stunden Fahrt, Wetter ok, Wind ok. Unser erstes Verkehrstrennungsgebiet – auch kein Problem. Die Probleme sollten erst viel später kommen. Viel viel später und viel weiter weg, als geplant. Es sollte ein wilder Ritt werden, der kein Ende nehmen wollte. Ein Tag voller Abenteuer – und voller schlechter Ideen.
Wir wissen bis heute nicht, was genau das Problem war, aber der Anker wollte vor Ort partout nicht halten. Alle Versuche bleiben erfolglos. Aber es war ja noch früh und so beschlossen wir, in eine kleine Marina in Klintholm zu fahren. 

Leider war die Marina voll und nun gingen uns so langsam die Optionen aus. Wind kam von Norden, zum Ankern brauchten wir also auch Land von Norden, das uns vor dem Wind schützt. Vor uns lag allerdings nur noch ein Kapp und danach sollte es für Stunden kein schützendes Land mehr geben. Wieder ein paar Seemeilen zurückzufahren und zu versuchen, ob hier irgendwo der Anker hält, wäre wohl die beste Idee gewesen. Aber wer will schon zurück? So beschlossen wir, das Kapp nach Klintholm zu umsegeln. 20 Seemeilen weiter sollte ein betonnter Seeweg beginnen, der uns nach Westen quasi ins Landesinnere bringen sollte. Das war zwar noch ein weites Stück aber die einzige Möglichkeit, ohne zurückzufahren.
Wir verließen die Marina und machten uns auf den Weg. Es war nun 18:00 Uhr. Viel zu spät, um weiterzufahren.

Ein Stürmisches Kapp

Die Laune kippte das erste Mal, als es anfing zu regnen. Der Wind kam genau von vorne und wurde stärker. Viel stärker! Und die Wellen höher. Vielleicht war das noch kein echter Sturm aber für uns fühlte es sich so an. Bunny Bee kämpfte mit Motorkraft gegen den Wind und die Wellen an.
Da wir ein Kapp umrundeten änderte sich immerhin die Windrichtung langsam zu unseren Gunsten. Wir nahmen nun die Segel im 3. Reff zur Hilfe. Motor und Segel sollten uns wenigstens gemeinsam auf Geschwindigkeit bringen. Neben viel zu starkem Wind, viel zu hohen Wellen und Regen lag uns immerhin auch noch die Zeit im Nacken da es langsam anfing, dunkel zu werden.

Leichter Regen

Im Geschwindigkeitsrausch

22:00 Uhr. Die Sonne war jetzt untergegangen. Aber es war nicht komplett dunkel. Die an die Dunkelheit gewöhnten Augen waren immer noch in der Lage, relativ gut sehen. Ich schaltete die Instrumente auf Nacht. Rote Zahlen, so dunkel gestellt, dass sie gerade noch gut zu erkennen waren.


Mittlerweile schossen wir mit einer Geschwindigkeit über die Wellen, dass die Situation, so beängstigend sie auch war, fast Spaß machte. Bunny Bees Rumpfgeschwindigkeit liegt bei ca. 7,5 Knoten, mehr geht rein physikalisch nicht. Schiebt einen die Welle noch in ein Tal, kann es auch mal einen Tick schneller sein. 8,2 Knoten. Geschwindigkeitsrausch! Du fängst an, auf die Anzeige zu starren und wartest darauf, den letzten Rekord zu brechen, der nur Minuten zurück liegt. Dann schossen wir mit 9,6 Knoten in ein Tal. Schneller sollte es nicht mehr werden. Autofahrer lachen über 18 Stundenkilometer. Regattesegler vielleicht auch. Aber wer eine Fahrtenyacht besitzt, ist so etwas nicht gewohnt und überhaupt fühlt sich Geschwindigkeit auf dem Wasser ganz anders an, als an Land. Und so rasten wir über die Wellen und hatten das Gefühl, in einem Rennwagen zu sitzen.
Dann kam mir eine Idee. Könnte es sein, dass es vielleicht gar nicht dunkler wird? Zugegeben – es gab weder Mond noch Sterne, statt dessen nur Wolken und Regen. Aber es war schon 22:00 Uhr also eigentlich mitten in der Nacht und die Sicht war immer noch gut. So blieb die Hoffnung, dass wir wenigstens noch ein paar Meter weit Umrisse erkennen könnten, wenn wir den engen Parcour erreichen würden, der vor uns lag.

Umstellung der Instrumente auf Nachtmodus
Es war fintere Nacht!

Fahrt durchs Labyrinth

Mitternacht. Die erste Tonne des Parcours musste hier irgendwo sein. Resthelligkeit? Von wegen! Es war mittlerweile stockdunkel, Sicht gleich Null, immerhin kein Regen mehr.
Unser „Suchscheinwerfer“, den wir nun zückten, ist eigentlich eine riesige Taschenlampe. Dank LED aber sparsam und extrem hell. Leuchtet mehrere hundert Meter weit, dafür aber mit einem extrem gebündelten Lichtstrahl, so winzig, dass er noch nicht mal einen Quadratmeter ausleuchtet.
Wo war die erste Tonne? Unsere Sicht war zwar weit aber eben keinen Meter breit. Nach einer gefühlten Ewigkeit plötzlich ein grünes Blitzen im Lichtstrahl. Die erste Tonne! Die Tonnen sind nicht beleuchtet, reflektieren aber immerhin das Licht. Aber selbst wenn der Lichtstrahl für den Bruchteil einer Sunde über den Reflektor der Tonne streicht, hat man sie auch schon wieder verloren und es ist nicht leicht, sie wieder im Lichtstrahl einzufangen.
Das GPS hilft bei der Navigation aber dieser Parcours zeugt deutlich, dass GPS und Realität einige Meter auseinander liegen. Und Du hast hier nur einige Meter. Wir mussten genau zwischen die Tonnen treffen, sonst würden wir aufsitzen. So hangelten wir uns im Schritttempo von Tonne zu Tonne, immer die Angst im Nacken, vom Kurs abzukommen oder die nächste Tonne nicht rechtzeitig zu finden.
Rechts und links neben dem Fahrwasser konnten wir Büsche und Bäume sehen. Aber das war nur ein Streich, den uns unsere Sinne spielten. Die Wahrheit war, dass um uns herum nur Wasser war – Wasser und Untiefen. Und keine Sicht, nur der schmale Strahl einer Lampe. Eine Fahrt durch eine wilde Landschaft. Nur, dass man diese Landschaft nicht sehen kann, weil sie unter Wasser liegt.
Nach einer Stunde wurde das Fahrwasser breiter und nördlich von uns gab es endlich Land, das uns vor dem Wind schützten sollte. Auf der Seekarte sah diese Stelle aus, wie ein winziger See mitten im Meer. Allerdings wieder voller Untiefen und Felsen, die dicht unter der Wasseroberfläche lauerten. Unser Scheinwerfer entdeckte noch ein paar Fischernetze. Der Alptraum, jetzt noch in so einem Netz hängenzubleiben, blieb uns zum Glück erspart.
Wir beschlossen, dass wir diesen Ort als Ankerplatz nutzen könnten, auch wenn das nicht so geplant war. Anker geworfen, Rückwärtsgang, Anker einfahren, Anker slippt. Anker gelichtet, neuer Versuch. Slippt wieder. Dicht hinter dem Boot eine Kardinalstonne, die uns warnte, ihr und dem Felsen, auf den sie aufmerksam macht, nicht zu nahe zu kommen. Und der Anker will nicht halten.
Nach dem 10. Versuch gaben wir auf. Die Nerven lagen blank. Wir wussten nicht mehr, was wir tun sollten. Mittlerweile fingen wir auch an, zu begreifen, was für eine Schnapsidee es war, mitten in der Nacht in so ein Gebiet zu fahren. Was tun? Weiterfahren? Dann würden wir weitere ein bis zwei Stunden durch gefährliches Gebiet fahren, ohne zu wissen, ob uns das überhaupt etwas bringen wird. Wir waren gefangen – gefangen in einem Labyrinth und es gab keine Perspektive, wie wir die Situation verbessern konnten. So beschlossen wir, den ganzen Parcours wieder zurückzufahren. Diese Idee, hier reinzufahren, war einfach miserabel. Immerhin lernt man aus Fehlern.
Der Weg zurück war einfacher. Der Kartenplotter hatte den Weg hinein aufgezeichnet und ich musste im Prinzip nur diesem Kurs zurück folgen. Was kann die moderne Technik für ein Segen sein.

Fahrt weiter nach Norden

Nach einer Stunde hatten wir es geschafft, die letzte Tonne war in Sicht. Es war mittlerweile 2 Uhr morgens. Die Fahrt sollte nun an der dänischen Küste weiter nach Norden gehen nach Fakse. Dort war die nächste Marina, 2 Stunden von unserer aktuellen Position entfernt.
Die See war jetzt ruhiger und wir auch. Irgendwie hatten wir uns nun auf die Situation eingestellt und kamen so langsam damit klar. Es war unsere erste Nachtfahrt und es war auch das erste Mal, dass wir jetzt einen offiziellen Wachwechsel planten. So wurde jedem 15 Minuten Ruhe gegönnt, während der andere Wache hielt.
Ich übernahm die erste Schicht. Vor uns schwankten zwei weiße Lichter. In der Dunkelheit auf See ist es schwer, abzuschätzen, wie weit Lichter entfernt sind. Das liegt sicher an unserer mangelnden Erfahrung, zumindest für mich was es schwer abzuschätzen. Ist das ein Boot, das einige hundert Meter vor uns fährt oder ein Leuchtturm in 10 Seemeilen Entfernung?
Das erste Licht war tatsächlich ein Boot. Ein Ankerlieger hier mitten auf dem Wasser. Wer weiß – vielleicht war er in der gleichen Situation wie wir. Vielleicht hatte er die klügere Wahl getroffen und mitten auf dem Wasser einfach den Anker rausgeworfen, um mal zur Ruhe zu kommen. Hätte ich den Kurs nicht geändert, wären wir mitten reingefahren. Komisches Gefühl, wenn so ein Schiff plötzlich nur noch 100 Meter von einem entfernt ist.
Das zweite Licht kam nun näher und das dazugehörige Schiff schaltete plötzlich alle Lichter ein. Das ganze Deck war beleuchtet und dazu noch drei Laternen untereinander – rot weiß rot – ein Arbeitsboot. An Deck lauter Menschen, die mit irgendwelchen Dingen beschäftigt waren. Sie fuhren vielleicht 2 Knoten und ich überholte sie weiträumig.
Nach 15 Minuten Wachwechsel. Ich blieb an Deck, schloss aber die Augen. 15 Minuten Ruhe – was für ein Segen! 15 Minuten ohne Verantwortung. Keine Sorgen, kein Stress. Ein phantastisches Gefühl, wenn man mehrere Stunden Anspannung hinter sich hat.

Angekommen!

Gelis Wache war vorbei, wir waren nun wieder beide wach und das Ziel lag kurz vor uns und nun gab es ein ganz anderes Problem: In den letzten ein bis zwei Stunden waren wir schneller, als erwartet. Laut Hafenhandbuch ist die Marina von Fakse nachts schwer anzufahren. Was tun? Eine Stunde todmüde vor der Hafeneinfahrt treiben lassen, bis die Sonne aufgeht? Das schien irgendwie absurd.
Dann viel uns auf, dass wir direkt neben der Marina eine Küstenlinie hatten, die uns vor den nördlichen Winden schützte. Endlich! Das war es, was wir seit Stunden gebraucht hatten. Nicht nur das – es gab hier einen Sandstrand. Sand und Schutz vor Wind bedeutet: Anker raus! Und diesmal hielt er auf Anhieb.
Wir gingen unter Deck, schalteten das Ankerlicht ein, befreiten uns von den Rettungswesten und machten uns fertig, ins Bett zu wanken. Was für ein Gefühl, wenn Du endlich zur Ruhe kommst und all die Last von Dir abfällt. Bunny Bee schaukelte kräftig in den Wellen hin und her. Es war ja nicht so, dass wir geschützt in einer Bucht lagen. Aber es war safe.
Eigentlich wäre es schön gewesen, nun in Ruhe ein kühles Ankerbier zu genießen, damit die langersehnte Ankunft zu feiern und Ruhe einkehren zu lassen. Aber wir wollten einfach nur noch schlafen.
Einem Crewmitglied ging es nicht so gut: Unser Bordhund Bentley, der eigentlich ein tapferer Seehund sein sollte, fühlt sich alles andere, als sicher, wenn es schwankt. Ich denke, er hält uns für ziemlich bescheuert, wenn wir ihm erzählen, dass Seefahrt etwas ganz tolles ist. Von all dem Freiheitsgefühl und unserer Abenteuerlust will er nichts wissen. Aber treuherzig, wie er ist, gibt es für ihn nur eins: Hauptsache bei uns sein, egal, was wir tun und egal, wie schlimm es kommt.
Meistens schläft Bentley neben dem Bett oder im Gang zum Salon. Nur, wenn er Angst hat, kommt er ins Bett. Und so kauerte er auch in dieser Nacht zwischen uns. Armer Kerl.

Schreibe einen Kommentar